Bei einem Entertainer-Keyboard oder einer E-Orgel macht man sich in regelmäßigen Abständen Gedanken über Bedienkonzepte, über das Spielgefühl oder das Design. Bei einer Sakralorgel scheinen sich all diese Fragen erst einmal gar nicht zu stellen, weil der Maßstab klar ist. Es gibt ein Vorbild in Form einer akustischen, „echten“ Pfeifenorgel, und deren Bedienkonzept ist seit Jahrhunderten mehr oder weniger unverändert.
Ausstattung
Schauen wir uns die Ausstattung der Studio 150 einmal näher an: 28 Register auf zwei Manualen hat sie an Bord. Wie gesagt: Maßstab ist und bleibt ja die „echte“ Kirchenorgel, und eine Orgel dieser Größenordnung ist, als akustische Pfeifenorgel gebaut, schon ein recht stattliches Instrument. In vielen Kirchen stehen deutlich kleinere Instrumente, und (nicht nur) zum Üben sollte das zunächst mal völlig ausreichend sein.
Was nun hier hinzu kommt: Es gibt vier verschiedene Sample-Bänke, und zwar in den Intonationen historisch, barock, romantisch und sinfonisch. Die gewünschte Intonation wird einfach per Knopfdruck unterhalb des Hauptwerks in der Reihe der Setzerkombinationen umgeschaltet. So ist jeder Registerschalter also vierfach belegt. Um hier keine Missverständnisse entstehen zu lassen: die Disposition in sich bleibt immer gleich, das heißt auf dem Registerschalter „Rohrflöte“ liegt immer eine Rohrflöte, nur mit vier verschiedenen Samples im Hintergrund, einmal barock intoniert, einmal romantisch usw. Zwischen den „historischen“ und den barocken Samples sind die Unterschiede gar nicht so riesig groß.
Das Historische ähnelt dem Barocken schon sehr, wurde aber von (noch) älteren Instrumenten aufgenommen. So kommen zum Beispiel mehr Nebengeräusche, etwa in Form von Anblasgeräuschen, hinzu, die das ganze authentisch klingen lassen. Von welchen Original-Instrumenten gesampelt wurde, wird eigentlich nie verraten, von keinem Hersteller, das zählt zu den wohlgehüteten Betriebsgeheimnissen. So auch bei Johannus. Bemerkenswert allerdings: Selbst innerhalb einer bestimmten Intonation (zum Beispiel Barock) stammen nicht alle Samples von derselben Orgel! So kann zum Beispiel die „Rohrflöte“ von Orgel A aufgenommen worden sein, die „Oktave“ von Orgel B (beides natürlich barocke Orgeln), und beide finden sich in einer Disposition.
Immer wieder fällt auf, dass die Sakralorgeln verschiedener Hersteller auch unterschiedlich klingen – wie es die „echten“ Pfeifenorgeln der einzelnen Orgelbauer ja auch tun. So banal diese Erkenntnis auf der einen Seite klingt, so bemerkenswert ist sie andererseits dennoch, wenn es (im Gegensatz zu einer E-Orgel beispielsweise) hier ja theoretisch darum geht, ein Original durch Sampling-Technik so naturgetreu wie möglich abzubilden. Deshalb interessiert in so einem Zusammenhang die Frage: Was macht dann eigentlich den „Johannus-Sound“ aus? Marco Bouw erklärt hierzu: „Wir haben schon seit Jahren denselben Sound-Engineer, der hauptverantwortlich ist. Das ist Herr Koudys.“ Klar, dass der dann die Klangphilosophie von Johannus genauestens kennt.
Die Samples, die in Kirchen aufgenommen wurden, werden zunächst noch weiterbearbeitet. Ein Parameter, dem man dabei Beachtung schenkt, ist zum Beispiel die Attack-Zeit, der Einschwingvorgang also. Bei einer echten Orgel kann es zum Beispiel vorkommen, dass wenn sie schlecht intoniert ist, einzelne Töne innerhalb eines Registers langsamer ansprechen als andere und als gewünscht. Johannus bearbeitet Samples nun dahingehend, dass etwa das Einschwingverhalten einzelner Töne, die sich im Original nicht so verhalten wie gewünscht, verändert wird. „Einerseits übernimmt man ‚Fehler‘ der Orgel, weil man es ja schön findet, dass sie immer anders klingt, andererseits macht man die Orgel perfekt“, erklärt Bouw. Perfekter als das Original sozusagen. Allerdings bearbeitet Johannus die Samples nicht durch Equalizer, sondern gibt sie bezüglich ihrer Klangfarbe so standardmäßig wie möglich auf die Orgeln.
Die romantische Disposition bzw. Intonation der Studio 150 ist von holländischen Originalen geprägt. Das erstaunt zunächst insofern, als dass die Epoche der sogenannten Romantik bezüglich der Orgelmusik sicher nicht die große Zeit der Niederländer war, sondern die war deutlich früher, denkt man etwa an Komponisten wie Sweelinck. Trotzdem seien diese Klangfarben sehr passend für holländische Choralmusik, lautet die Erklärung. Bei den anderen Intonationen hingegen schaut man auch gerne nach Orgeln in Deutschland, da der deutsche Markt sehr wichtig sei, so Marco Bouw.
Überhaupt habe es im Hause Johannus eine lange Diskussion über die Disposition der Studio 150 gegeben, wie sie aussehen muss. Man habe einen Blick in alle Länder geworfen, in die geliefert wird. So sieht es ungewöhnlich aus, dass wir im Schwellwerk ein Fagott 16‘ finden. Das ist vielleicht auch nicht so entscheidend in Deutschland, aber in Frankreich schon wieder wichtig. Umgekehrt sei speziell für Deutschland ein Prinzipal 4‘ im Schwellwerk dazugekommen.
Was weiterhin auffällt, ist die sehr gute Klangabstrahlung der Studio 150. Für die Wohnung beim häuslichen Üben mehr als ausreichend, das Tutti lässt einem sogar die Hosenbeine flattern, wenn man am Spieltisch sitzt. Bei einer Lautstärke von rund 100 Dezibel würden sich die Nachbarn sogar bedanken, wenn man allabendlich zwei Stunden damit übt – oder vielleicht auch, wenn man wieder damit aufhört.
Aber bei all dem stellt sich nun die Frage: Warum ist diese Orgel so kostengünstig, wo wird denn nun am Preis eingespart? Zunächst einmal handelt es sich hier ganz einfach um eine Serienfertigung in größeren Stückzahlen. Das betrifft zum Beispiel auch das Gehäuse, das sich sehr kompakt, aber gutaussehend zeitgemäß präsentiert. Man kann zwischen Eiche dunkel oder Eiche hell wählen, beim Pedal kann man zwischen gerade oder geschweift wählen (ein wichtiger Aspekt), aber ansonsten ist alles fix. Ein Aspekt, der sich im Preis niederschlägt, ist, dass diese Orgelreihe nicht so frei individualisierbar ist wie größere Baureihen es dann sind. So sind zum Beispiel auch keine eigenen Samples konfigurierbar, man kann keine Samples aus einer Johannus-Bibliothek erwerben und sich auf seine Orgel laden und eigene Dispositionen zusammenstellen. Die Disposition ist festgelegt.
Nicht hingegen die Intonation. Die kann man durchaus verändern. Das funktioniert allerdings mit Hilfe einer externen Computersoftware, die nicht Bestandteil des Lieferumfangs ist, sondern separat erworben werden muss. Bevor man allerdings munter drauflos die Lautstärke-Abstimmung einzelner Register verändert, sollte man schon sehr genau wissen, was man da tut. Mit diesem Programm ist dann auch der Einsatz von Equalizern zur Veränderung einzelner Klangfarben möglich, beispielsweise um sie an den Raum anzupassen. Sogar lassen sich einzelne Register zwischen den Dispositionen austauschen. Wie oben schon gesagt wurde, kann man zwar keine grundlegend eigenen Dispositionen erstellen, doch kann man zum Beispiel sagen „die Rohrflöte gefällt mir in der barocken Disposition besser als in der romantischen“ und kann sie innerhalb derer austauschen. Wenig Möglichkeiten sind das für eine Orgel unter 4000 Euro gewiss nicht.
Auch der eingebaute Kathedral-Hall weiß zu überzeugen. Er ist über einen Drehregler stufenlos dosierbar, und es gibt insgesamt zwölf verschiedene Hall-Presets, von denen jeweils verschiedene pro Disposition verfügbar sind. Verschiedene Stimmungen sind gleichermaßen vorhanden, auch zwölf an der Zahl, und jede Stimmung ist mit jeder Disposition frei kombinierbar. Zwar würde es nicht viel Sinn machen, eine Kirnberger-Stimmung mit der romantischen Intonation zu kombinieren, doch grundsätzlich eröffnet natürlich auch diese freie Zuweisbarkeit eine Vielzahl an Möglichkeiten.
Die Klangabstrahlung wurde oben schon angesprochen. Über drei Kanäle verfügt die Studio 150, einen Subwoofer und zwei weitere Kanäle. Die größere Vivaldi-Serie beginnt im Vergleich dazu erst bei fünf Kanälen.Die verwendeten Lautsprecher hingegen sind aber dieselben. So ist die Studio 150 zwar zu schwach für eine Kirche, wohl aber ideal fürs Wohnzimmer.
500 Setzerkombinationen gibt es auf der Studio 150. Auch diese Zahl dürfte wohl keinesfalls zu wenig üppig sein. Verzichtet hat man lediglich auf Fußpistons. Weiterhin hat Johannus vorprogrammierte Registrierungen von Pianissimo bis zum Tutti eingebaut, die aber jederzeit überschreibbar sind.
Ein echtes Highlight ist „VPP“, was „Virtual Pipe Position“ bedeutet. Dies sei kurz erklärt: Bei einer Pfeifenorgel gibt es das Prinzip der Registerkanzelle oder alternativ das der Tonkanzelle. Registerkanzelle bedeutet, dass alle Pfeifen, die zu einem bestimmten Register gehören, auf einer Windlade zusammenstehen, von tief bis hoch. Beim Prinzip der Tonkanzelle stehen alle Pfeifen, die denselben Ton (dieselbe Tonhöhe) erzeugen, in einem bestimmten Abschnitt zusammen, und zwar quer gemischt durch alle Register der Orgel.
Das Prinzip der Tonkanzelle, das in den allermeisten Fällen bevorzugt verwendet wird, hat den riesigen Vorteil, dass es für unser Gehör viel durchmischter und „spannender“ klingt. Es kommt also nicht per se und immer gleich Register A aus der einen Ecke, Register B aus einer anderen, sondern bei einer gut gebauten Orgel wird die volle Breite des Stereopanoramas genutzt. Das Prinzip der „Virtual Pipe Position“ von Johannus simuliert genau dieses Verhalten, das heißt die Töne wandern durch das Stereopanorama, getreu dem Prinzip des Vorbilds, dass es eine C-Lade, eine Cis-Lade usw. gibt.
Die Polyphonie der Studio 150 ist die gleiche wie die der Opus-Serie, die preislich immerhin erst bei 5300 Euro anfängt. An Tastaturen wurden Fatar-Tastaturen mit Druckpunkt verbaut, die sich gut spielen lassen. Holzklaviaturen sind in dieser Preisklasse dann eben doch nicht möglich.
Nach all diesen sehr faktischen Informationen stellt sich natürlich noch die Frage, wie sich die Orgel denn nun überhaupt spielt. Hierzu kann ich nur sagen: sehr überzeugend, zumindest habe ich dies auch ausgiebig getestet. Und es wäre kein Problem gewesen, sondern hätte mir Spaß gemacht, noch eine weitere halbe Stunde daran sitzen zu bleiben. Der Klang ist ausgewogen und rund, an Registern ist alles da, was man im Alltagsbetrieb braucht, das Spielgefühl ist angenehm, die Ergonomie (wie man daran sitzt und was man wie gut erreichen kann) ist gut, der Hall überzeugt, der Druck, der aus den Lautsprechern kommt, überrascht.
Erwähnt werden sollte auch noch, dass es für jedes Werk (Hauptwerk, Schwellwerk, Pedal) jeweils eine Registerwippe mit der Aufschrift „Midi“ gibt. So ist es möglich, die komplette Orgel stumm zu schalten und über Aktivierung der Midi-Funktion völlig leicht ein externes Klangmodul oder auch einen Computer anzusteuern – und das ggf. sogar noch mit den eingebauten Klangfarben zu kombinieren. Und auch ein Transposer gehört natürlich zur Grundausstattung. Dass überdies ein Kopfhöreranschluss vorhanden ist, sollte eigentlich nicht erwähnt werden müssen.
Gibt’s auch was zu mäkeln? Allein die Bank hätte ich mir höhenverstellbar gewünscht, die Standardversion war für mich eigentlich zu hoch und führte deshalb zu ein bisschen Unsicherheit im Pedalspiel. Aber gegen Aufpreis ist die Bank natürlich auch höhenverstellbar erhältlich. Hier sollte man ggf. mal probesitzen. Ansonsten aber wusste das getestete Instrument rundherum zu überzeugen. Was man ein bisschen im Auge behalten muss, ist die Zusammenstellung der Disposition. Hier muss sich jeder selbst fragen, was er am meisten spielt und zukünftig spielen will. Nicht ganz so üppig sieht es mit der Ausstattung an Zungenregistern aus.
Vermutlich wird sich die Auswahl der Literatur vor allem auf barocke und vielleicht noch frühromantische Werke, etwa eine Mendelssohn-Orgelsonate, konzentrieren. Bei César Franck hingegen stößt man schon da und dort an Grenzen. Wer sich also auf französische Romantik oder noch später spezialisiert hat und Sinfonien von Vierne oder Werke von Dupré oder Duruflé spielen will, ist mit dieser Orgel vielleicht nicht so gut beraten, sondern braucht eine andere Disposition und sollte sich vielleicht ohnehin nach was Dreimanualigem umschauen. Doch das ist natürlich auch wieder eine Frage des Preises. Angesichts dieses Preises kam ich sogar in Versuchung, selbst zuzugreifen.
Um den erstaunlich niedrigen Preis der Studio 150 zu erzielen, ist man bei Johannus Kompromisse eingegangen, die eigentlich nicht wirklich welche sind. Dass manche Samples auf einer Orgel für 30.000 Euro noch „besser“ klingen mögen – geschenkt. Doch dieser Begriff erscheint hier sehr relativ und ist angesichts des eigentlich unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnisses Jammern auf hohem Niveau. Drücken wir es einmal anders aus: hier wurde extrem zielgruppengerecht gedacht. Zielgruppe sind eben nicht Kirchen, die das Instrument aufstellen wollen, sondern die Studio 150 versteht sich eben als eine Studio-Orgel fürs Wohnzimmer und zu Übezwecken. Dabei hat man Profis ebenso im Blick wie Studenten oder auch private Lernende, sogar Beginner. Und das Konzept scheint aufzugehen:
Erst wenige Monate auf dem Markt, verkauft sich die Studio 150 bereits ausgesprochen gut, freut sich Marco Bouw. Auf einmal komme man auch an ganz andere Zielgruppen heran. Dass das ein Schritt in die richtige Richtung sei, sieht auch Thomas Barth, Geschäftsführer von Orgel Bauer, so: „Man muss sich nur mal anschauen, auf welchen Instrumenten gerade Land-Organisten manchmal üben. Im Winter in der kalten Kirche.
Gerade in Deutschland gibt es gegen digitale Orgeln in Kirchen noch immer große Vorbehalte. Viele haben ihre Vorstellungen auch immer noch von der Analogzeit geprägt und denken, dass so ein Instrument nach zehn Jahren hinüber ist, wie es vor 20 Jahren mal war. Aber diese Zeiten sind vorbei. Die kommen dann hierher und fallen fast vom Glauben ab, wenn sie hören, wie bombastisch ein Instrument für 4000 Euro heute klingt und was man damit machen kann. Manchmal wird es fast schwer, denen überhaupt noch was anderes zu zeigen.“ Der offizielle Listenpreis ist tatsächlich mit 4495 Euro notiert. Zu haben ist das Instrument aber derzeit noch zum Preis von 3995 Euro, der sich als Einführungspreis versteht. Dafür wird das Instrument sogar mit Bank geliefert, also komplett. Wie lange dieser Preis noch gilt, steht noch nicht fest, darüber wird derzeit diskutiert. Wer also ohnehin ein Instrument sucht, sollte vielleicht schnell zugreifen.
Christoph Klüh
OKEY Magazine