Johannus und Karras in Concert

Artikel Orgel Heute: " Im Mittelpunkt des musikalischen Geschehens stand außerdem eine Johannus Ecclesia D35 Orgel. Nach unserem ausführlichen Test in der letzten „ORGEL heute“ konnte man sich bei diesem Konzert dann auch gleich einmal unter „Live-Bedingungen“ von den Fähigkeiten dieses Instrumentes überzeugen."

Unser Orgelfachmann Hans-Dieter Karras ist ja nicht nur selbst als Konzertorganist tätig, sondern auch als Komponist tätig. Und so überzeugten unlängst bei einem großen Konzertabend in der altehrwürdigen ehemaligen Zisterzienserklosterkirche Mariental bei Helmstedt nicht nur Chor, Orchester und Solist, sondern vor allem eben auch die geistlichen Kompositionen von Hans-Dieter Karras das zahlreich erschienene Publikum.

Im Mittelpunkt des musikalischen Geschehens stand außerdem eine Johannus Ecclesia D35 Orgel. Nach unserem ausführlichen Test in der letzten „ORGEL heute“ konnte man sich bei diesem Konzert dann auch gleich einmal unter „Live-Bedingungen“ von den Fähigkeiten dieses Instrumentes überzeugen.

Ein bisschen irreführend ist unsere Überschrift ja schon, denn dieses Mal saß Hans-Dieter Karras ausnahmsweise nicht selbst auf der Orgelbank, wohl aber erklangen an diesem Abend seine Werke in der Klosterkirche. Sechs geistliche Kompositionen von ihm und eine Bearbeitung wurden amTrinitatissonntag (30. Mai 2010) durch den Helmstedter Kammerchor und Mitgliedern des Staatsorchesters Braunschweig unter der Leitung von Andreas Lamken klangvoll aufgeführt, darunter waren sogar drei Uraufführungen. Der bekannte Braunschweiger Pianist und Konzertorganist Hans-Dieter Meyer-Moortgat glänzte dabei an der Johannus Ecclesia D35 sowohl als Solist, wie auch beim Orgelpart im Orchester.

Dank gilt an dieser Stelle den Firmen Johannus und Kisselbach, die das Instrument zur Verfügung stellten und vor Ort samt der großen Abstrahlanlege aufwändig installierten.

Die Kirche war mit ca. 400 Zuhörern bis auf den letzten Platz gefüllt und machte die ohnehin schon sehr gute Akustik gerade für eine so aufwändig instrumentierte Musik nahezu ideal. Zur Aufführung gelangten der Introitus und die Partita „Verleih uns Frieden gnädiglich“ für Orgel solo, die Missa Festiva St. Laurentius in F, der Festival Evensong in C und der Irish Blessing (nach Moore) für Chor, Orgel und Orchester, sowie das „Vater unser“ und „Ave Maria“ für Frauenchor mit Orgel.

Für ein Konzert, das ausschließlich einem zeitgenössischen Komponisten gewidmet ist und auch noch Uraufführungen ankündigte, ist ein voll besetztes Haus bzw. Kirche schon ungewöhnlich. Und auch kein Zuhörer verließ die Kirche während des Konzertes! Im Gegenteil: das Publikum würdigte Ausführende wie Komponist am Ende des Konzertes mit Standing Ovations und nicht enden wollendem Applaus. Das Magnificat musste dann als Zugabe wiederholt werden.

Nach dem Spiel der 17 Minuten umfassenden großen Orgelpartita über „Verleih uns Frieden gnädiglich“ (komponiert übrigens am Tag des Irak-Krieg-Beginns 20.03.2003 und dem Solisten gewidmet) erhielt Hans-Dieter Meyer-Moortgat frenetischen Szenenapplaus. Diese neunsätzige Partita im französischen Stil war denn auch besonders geeignet, die hervorragenden klanglichen Qualitäten der Johannus Ecclesia zu demonstrieren. Dazu wurde vor dem Altar auch der Aufwand betrieben, die Klangabstrahlung mittels insgesamt zehn 100 W Boxen und einem zusätzlichen 200 W Subwoofer zu gestalten.

Besonders die manchmal schon fast zu massiven Bässe, verstärkt durch die Eigenakustik des etwas basslastigen Kirchraumes, wussten aber dennoch zu beeindrucken, wurden von manchen aber schon fast als zu mächtig empfunden. Das ist natürlich aber auch Einstellungssache - sowohl des Hörens, als auch der Technik. Neben dem Klang hat ein vielleicht doch zunächst eher nebensächlich erscheinendes Detail der Ecclesia die anwesenden Kirchenmusiker übrigens besonders angesprochen, nämlich die raffinierte Lichtleiste, welche die Noten von schräg unten her sehr gut ausleuchtet, nicht blendet und daher wirklich einen Designpreis verdient hätte.

Die einzelnen Sätze der Partita sind, wie in der französischen Orgelmusik üblich, verschiedenen Registrierungen gewidmet. So beginnt der erste Satz, mit „Choral“ bezeichnet, ganz leise mit 8’-Stimmen und der Vorstellung des Choralthemas mit dem Krummhorn. Dieser Satz war übrigens auch schon einmal in „ORGEL heute“ als Transkription veröffentlicht worden. Es folgt ein virtuoses Impromptu „Duo sur les flûtes et hautbois“ mit Flöten und der durch die Oboe gespielten Melodie.

Im dritten Satz „Trio sur le Cornet et Anche douce basse“ wird ein sanftes Cornet V durch eine zarte Pedalzunge kontrapunktiert, begleitet durch sonore 8’-Stimmen im Tenor. Interessant ist die Klangwirkung des vierten Satzes „Quatuor sur les Tierces“, damit sind sowohl die linke Hand, welche durchweg in meist großen Terzen spielt, als auch die Melodie in der rechten Hand mit einer terzhaltigen Registrierung gemeint. Beide werden von einem „Pizzicato“-Bass begleitet. Gerade dieser Satz klang auf der Ecclesia ganz apart. Der fünfte Satz „Récit de Cornet“ zeigt das klassische Cornet der Grand Orgue, welches die Melodie weit ausschwingend ausziert und von den satten Grundstimmen (Fonds) begleitet wird.

Im sechsten Satz „Anches et Chamades“ werden sämtliche Kombinationen von großen Zungenstimmen verwendet und in der Mitte auch durch ein virtuoses Pedalsolo vorgeführt. Es handelt sich um einen Satz im Sinne der spanischen Battaglias und zaubert ein wahres Feuerwerk des Klanges ins Zentrum der Partita. Trotz Fehlens einiger dafür notwendiger Register (Chamaden, Tuba) war dieser extrem schwer zu spielende Satz auf der Ecclesia dennoch klanglich überzeugend und von Hans-Dieter Meyer-Moortgat hinreißend interpretiert. Für den folgenden Satz 7 fehlte der Orgel das dafür notwendige Register „Voix humaine“.

Der Solist wusste sich dennoch zu behelfen und hat den Effekt ganz gut durch besondere Registrierungskunst erzielt. Die Melodie der Zungenstimme erklingt dabei abwechselnd im Diskant und in der Baritonlage und soll hier das Weinen der Angehörigen und ihre Trauer beschreiben. Im achten Satz hält die Partita mit einem Ruhepunkt durch die vollgriffig gespielte Voix célèste im Récit und die Melodie mit Flötenklang in 4’-Lage ein wenig inne und schafft Raum für sphärische Klänge.

Abschluss und Höhepunkt einer französischen Suite ist sicher immer eine virtuose Toccata. Unschwer ist hier das Vorbild der Toccata „Tu es Petra“ (eigentlich „Tu es Petrus“, der üble Druckfehler wurde leider nie bereinigt) aus den „Esquisses byzantines“ von Henri Mulet zu erkennen. Hans-Dieter Meyer-Moortgat spielte die Toccata so mitreißend und virtuos, dass es das Publikum fast von den Stühlen riss und die Begeisterung sich anschließend in tosendem Applaus entlud.

Die vielen klanglichen Facetten der Ecclesia sind aber nicht nur für solche Werke sehr gut geeignet, sie mischten sich auch erstaunlich gut mit den Singstimmen des Chores und dem Orchester. Bei den – auch a capella aufführbaren – beiden Frauenchören mischte sich der 8’-Klang dabei so sehr, dass eine wirklich frappierende Klanghomogenität erzielt wurde und diese kleinen Miniaturen dadurch zu einem sensiblen Höhepunkt des Konzertes wurden.

Der Klang der Grundstimmen der Ecclesia verschmolz dabei vollends mit den Frauenstimmen und stützte diese ganz so wie zusätzliche Chorstimmen. Auch das Tutti der Orgel kam gut gegen das Orchester an und machte die zahlreichen Effekte des Mit- und Gegeneinanders sehr plastisch. Es fehlten einzig ein 32’ im Pedal, eine Voix humaine 8’ und eine Chamade oder Festival Trumpet 8’ für die besonderen Effekte im Festival Evensong, der allerdings auch ursprünglich für eine große amerikanische Kathedralorgel geschrieben worden ist.

Die Orchestrierung der Werke von Hans Dieter Karras ist dabei für Kirchenmusik sehr ungewöhnlich, insbesondere bei der Missa St. Laurentius, denn sie umfasst ausschließlich Holzbläser durch alle Lagen, vom Piccolo bis zum Kontrafagott. Dazu kommen Horn, Trompete, Posaune, Pauken, zwei Schlagzeuger mit unterschiedlichen Instrumenten (Röhrenglocken, Glockenspiel, Tam-tam, kleine und große Trommel, Becken), Harfe, Orgel, vier Celli und zwei Kontrabässe.

Die Orchestrierungen waren durch einen Auftrag für eine Episcopal Church in Dallas/Texas in dieser Weise intendiert. Als Vorbilder der Orchestrierung standen die Messen von Hindemith und Stravinsky und Bernsteins Chichester Psalms. Karras orientierte sich dabei allerdings nicht am Stil der Komponisten, sondern nur an den ungewöhnlichen Instrumentierungen, wobei der Orgelpart immer obligat ist und einen wesentlichen Bestandteil des Klanges bildet und manchmal die fehlenden hohen Streicher ersetzen muss. Karras’ Kompositionsstil selbst orientiert sich dabei mehr an Joseph Jongen, Maurice Duruflé oder Marcel Dupré, also der französisch-sinfonische Schule am Anfang des 20. Jahrhunderts. Aus diesen Vorbildern hat er dann in den letzten 20 Jahren einen sehr persönlichen Stil entwickelt, der inzwischen immer mehr Freunde gewinnt und von den Kritikern stets gelobt wird.

Da die Johannus-Orgel neben kraftvollen Effekten mit den Grundstimmen auch schöne warme Klangteppiche legen kann, ist das Fehlen der hohen Streicher dabei nicht unbedingt ein Nachteil. Die Ausdruckskraft der Holzbläser im Orchester, welche von der Piccoloflöte, Flöte über Oboe, Klarinette, Bassklarinette, zwei Fagotte, Kontrafagott durch alle Lagen besetzt waren und von hervorragenden Musikern gespielt wurden, haben der impressionistischen Farbigkeit der Werke eine besondere Note gegeben. Insgesamt ein gelungenes und außergewöhnliches Konzert und nebenbei eine beeindruckende Demonstration einer Digitalorgel wie der Johannus Ecclesia. Dieser Abend wird sicher bei den Hörern, Interpreten und natürlich auch dem Komponisten noch lange nachklingen!

Claus Riepe