Product introductions

Okey Classic: Test Johannus LiVE

Das lange Warten hat ein Ende, nun hat auch Johannus ein Instrument im Hauptwerkstil im Programm. Wir wussten bereits, dass man dort die Entwicklung und
den Markt betreffend der Hauptwerksoftware und deren Nutzung beobachtet.

Aber im eigenen Selbstverständnis als Orgelbauer wollte man natürlich eine eigenständige Produktidee präsentieren, Und die liegt jetzt vor und hört auf den Namen LiVE.

Johannus hatte schon mit der Einführung der Vivaldi-Reihe klangliche Konsequenzen aus der Beschäftigung mit Hauptwerk gezogen. Man denke an die schöne historische Intonation dieser Orgeln, die bei ihrer Einführung aufhorchen ließen. Man verfolgte im Haus die Entwicklung von Hauptwerk, aber auch das Nutzerverhalten und analysierte es. Als in der letzten Zeit in Holland zunehmend eine Tendenz zur Hauptwerknutzung erkennbar war, die Anzahl der Nutzer dort übertrifft die in Deutschland m.E. deutlich, musste man handeln, um den Anschluss nicht zu verpassen. Aber die Ansprüche im Hause Johannus sind hoch und man empfand schon immer das Hauptmanko von Hauptwerk in der zu sehr computerlastigen Bedienung für den Anwender. Allein die Einstellungen zu treffen und anzupassen macht vielen Benutzern schon zu schaffen. Johannus möchte immer Instrumente anbieten, die einfach zu bedienen sind, gut klingen und schön aussehen. Das gilt eben auch für die Auseinandersetzung mit Hauptwerk, dem System, dem Audiobereich und der Bedienerfreundlichkeit. Herausgekommen ist nun ein völlig neues Orgelkonzept im Geist der Hauptwerksoftware, aber als komplett eigene Lösung. Ein neu und bei Johannus selbst entwickeltes Board (im Wesentlichen bestehend aus einem Array, mehreren DSPs und speziellen, bei Johannus entwickelten SSD-Speichern), ein neu entwickeltes Audiosystem und eigene Samples funktionieren wie eine normale Digitalorgel: Einschalten, Orgel auswählen und spielen. Denn: die Johannus LiVE ist ein komplett eigenständiges Instrument und kein Hauptwerkspieltisch.

Der Aufbau

Die Johannus LiVE ist ein schönes Möbel, ein edler Spielschrank mit Holzmanubrien wie an einer Kirchenorgel und als Hingucker kleine Displays für die mit jeder Orgel und jedem Sampleset natürlich wechselnden Werk- und Registernamen. Bei diesen Displays verwendet Johannus übrigens die ePaper-Technologie, also eine Darstellung, wie man sie von eBook-Readern kennt. Hier zeigt sich für mich ein wenig Anachronismus, denn auf der einen Seite möchte man das Feeling einer traditionellen Kirchenorgel bieten, auf der anderen Seite wirken die aufgesetzten Metallrahmen mit den Displays doch ein wenig wie Fremdkörper. Es hat so etwas vom Porsche-Design Spieltisch der Orgel in Leipzigs Nikolaikirche. Das man diese - anscheinend inzwischen etwas preiswerter gewordene Technologie - einsetzt um die wechselnden Registernamen darzustellen, ist wiederum fantastisch. Aber man hätte die Displays vielleicht etwas geschickter in das Holz integrieren können. Auch macht die absolut symmetrische Anordnung der Displays über den Manubrien etwas Probleme beim Ablesen, man verrutscht leicht in der Reihe. Etwas Abstand zwischen den jeweiligen Registerzeilen hätte da geholfen. Man vertut sich nämlich im Eifer des Spiels mit der Einschätzung, ob das Display nun oben oder unten zum Registerzug gehört. Aber mit etwas Zeit gewöhnt man sich natürlich an diese Anordnung. Und die Möglichkeit, mit kleinen Displays die Registernamen und das dazugehörige Werk anzuzeigen, wünschte man sich schon lange auch für Hauptwerkspieltische. Johannus ist nun der erste Anbieter dieser Möglichkeit. Weiterhin ist die Serientastatur mit Holzkern und neu entwickeltem, patentiertem Ivory-Feeling, wie man das sonst eher bei hochwertigen Digitalpianos findet, ein absolutes Highlight. Sie ist absolut angenehm zu spielen und hat einen guten Druckpunkt. Das muss man sonst oft als Option dazu kaufen. Leider sind dafür die Fußpistons nicht serienmäßig und doch für die Setzerfortschaltung besonders wichtig, weil man öfter einen Fuß, denn eine Hand frei hat. Ansonsten finden wir auch die üblichen Holzschweller. Weiterhin gibt es natürlich gut platzierte Daumenpistons für die üblichen notwendigen Spielhilfen und Vorregistrierungen. Auch gibt es das Johannus Menü in einem Display für die erweiterten Einstellungen mit der von den anderen Johannus Orgeln bekannten Vorgehensweise beim Einstellen. Die Menüpunkte sind dabei Reverb Volume, Pitch, Temperaments, Upload organ, Organ Settings, System Settings.

Endlich gibt es auch den Button Handregister und einen weiteren, nämlich Handregister+, welcher das Hinzu- oder Abregistrieren mittels der Manubrien in Setzerpositionen erlaubt. Was man aber bei den Setzern dabei leider vergessen hat, ist eine Anzeige, welche Register bei der aktuellen Setzerposition gerade gezogen sind. Da hätte eine kleine LED in der Mitte des Registerzuges genügt, oder, wenn man schon Registernamen-Displays hat, zum Beispiel deren Invertierung oder ein kleiner zusätzlicher Punkt im Display. Gerd Kisselbach, in dessen Studio in Baunatal ich die LiVE testen durfte, bemängelt dies ebenso und ordert deshalb für seine LiVE Orgeln die erste Lösung, welche am Testmodell aber noch nicht vorhanden war. Ansonsten hat man Daumen-Pistons für MENU (Johannus Menü), TRANS (Transposer), VOL (Orgel Volumen), CF (Cantus firmus), MB (Manual Bass), CR (Registercrescendo), S/S (Generalschweller), RO (Zungen ab), Koppel und Tremulanten für jedes Werk. Dazu kommen noch Pistons für die Hörpositionen CONS (Konsole), FRONT (vor der Orgel), CENTER (Mitte der Kirche) und REAR (hinten in der Kirche). Letzteres finde ich eigentlich überflüssig, kein Zuhörer möchte ein gutes Orgelkonzert unter der Empore sitzend hören. Programmierbare Festspeicher mit pp-p-mf-f-ff-T-Pl sind ebenfalls vorhanden. Die freien Setzer sind für heutige Verhältnisse etwas knapp mit 50 x 5, also 250 Positionen bemessen. Dabei hat eben jedes Sampleset 50 Registerspeicher und es gibt in der LiVE eben 5 installierbare Orgeln. Zu den weiteren Einstellungen gehören Blasebalg-Simulator, Authentic Tuning™, Live Tune™, Ansprachendynamik, Virtual Pipe Positioning™ und 3D Division Positioning™. Die Schweller lassen sich mit der PEPC™ Schwelltrittkonfiguration frei konfigurieren und auch als Swell to Swell Generalschweller benutzen. Das Registercrescendo (Walze) ist ebenfalls über das PEPC™frei programmierbar.

Die Sample-Sets

Nun zur Hauptsache, den Registern und damit den Samplesets. Wie schon benannt, ist die Johannus LiVE ein komplett selbst entwickeltes Instrument, welches nur die Idee mit Hauptwerk gemeinsam hat, auf unterschiedliche Orgeln mit eigenständigen Samples zurückgreifen zu können. Johannus verwendet hier eigene Sets mit einem proprietären Format, d.h. diese Samples sind nur für die Johannus LiVE verwendbar. Die Samplesets sind auch mit einem einmaligen Code gesichert und lassen sich nur auf der eigenen Johannus LiVE verwenden. Das Instrument hat 5 Speicherplätze für die Samplesets, welche aber natürlich beim Kauf von darüber hinaus gehenden Samplesets überschrieben werden können. Man kann jederzeit ein gelöschtes Set auch wieder neu installieren. Aber es lassen sich nur fünf gleichzeitig in der Orgeln halten. Die Samplesets kommen jeweils auf einem USB-Stick. Beim Kauf einer Johannus LiVE erhält man standardmäßig zwei Samplesets, also zwei Orgeln und eine Sammelkassette für neun USB-Sticks. Ein USB Anschluss ist rechts an der Konsole und gut erreichbar. Wenn man den USB-Stick in die Buchse steckt, wird das Set automatisch geladen und auf die interne Festplatte gespeichert. Einfacher geht es wirklich nicht. Die Ladezeiten sind dann enorm schnell und das Umschalten zwischen den Orgeln ist ein Kinderspiel. Zweimal auf einen der fünf Buttons am Spieltisch drücken und die entsprechende Orgel wird geladen und die Registernamen und Werkbezeichnung erscheint in den Displays über dem jeweiligen Register.

Was hat man denn nun für Orgeln gesampelt? Nun, bei Johannus kleckert man nicht sondern klotzt! Schon die ersten drei verfügbaren Orgeln sind sowohl von historisch, wie auch stilistisch von großer Bedeutung und erstem Rang. Dass Johannus die berühmte Silbermann Orgel der Kathedrale (früher Hofkirche) in Dresden sampeln durfte, ist schon fast ein Wunder. Auch wenn sie nicht mehr von Gottfried Silbermann (1683-1753) vollendet wurde, denn er starb kurz vor deren Vollendung, gehört sie doch zu den beiden größten erhaltenen Silbermann Instrumenten. Die andere ist die des Domes in Freiberg. Da sie außerdem von seinem Lehrling und späteren Mitarbeiter Zacharias Hildebrandt (1688-1757) vollendet wurde, dessen berühmtestes Werk die Orgel in Naumburgs Stadtkirche St. Wenzel steht, hat sie auch etwas von der weicheren Intonation erhalten, die dieser entwickelte und bevorzugte. Da zwei früher errichtete Instrumente Silbermanns am Ende des 2. Weltkrieges 1945 verloren gingen, darunter die der Frauenkirche, welche aber mehrfach umgebaut und eher romantisiert war, haben wir hier ein  einzigartiges Zeugnis des Sächsischen Barocks erhalten, was hier schon fast dokumentarischen Wert besitzt. Ich habe mit Vergnügen dieses Set gespielt, weil ich seit Kindheit das Original kenne und dort auch schon konzertieren durfte. Und ich kann Johannus bescheinigen, dass sie ganze Arbeit geleistet haben. Sowohl was die Qualität der Samples angeht, als auch auf die Reproduktion und Wiedergabe derselben. Hochachtung! Im Original hat das Instrument 47 Register mit ca. 3000 Pfeifen. Eine Besonderheit gegenüber den sonstigen Dispositionsstil Silbermanns ist hier die hohe Anzahl von Zungenregistern. Bei 47 Registern sind davon 7 Zungen und auch der für diesen großen und hallreichem Raum so wichtige Untersatz 32' findet sich. Leider hat Silbermann aber keine 32'-Zunge disponiert, das war ihm dann doch wohl zu norddeutsch, und sicher hatte er damit auch keine Erfahrung, denn die früher entstandene Freiberger Domorgel hat auch nur einen Untersatz 32' (als 32'+16' Mischung). Johannus hat dem Sampleset auch zwei wichtige, fehlende Pedalregister virtuell hinzugefügt, nämlich den Subbass 16' und dem Gedecktbass 8'. Das finde ich legitim und diese sind auch richtig gut gelungen. Es entspricht der Tradition der Transmission bei Pfeifenorgeln und ich vermute mal, da haben der Bordun 16' des Hauptwerkes und das Gedackt des Oberwerkes Pate gestanden. Ansonsten sind die an dieser Orgel sehr auffälligen Werkprinzipien auch gut hörbar. Besonders schön die Wirkung zwischen dem fünffachen Kornett des Hauptwerkes mit seiner klaren Präsenz und dem entfernt erklingenden fünffachen Echokornetts des Oberwerkes. Ganz besonders sind bei Silbermann auch die Quintadenas mit etwas rauchigem Ton. Natürlich beeindruckt auch die brillante Helligkeit der Aliquote und besonders Mixturen, was immer ein Markenzeichen des sächsischen Silbermanns war und ist. Immer wieder ein Erlebnis ist das Zungenregister Chalumeaux 8' im Brustwerk. Gemeint ist mit diesem Namen die Schalmei, aus der später die Klarinette entwickelt wurde. Sehr schön ist die Bezeichnung „Sufflöt“ im Brustwerk am Original, gemeint ist Sifflöt 1' und es steht aber tatsächlich Sufflöt. Wahrscheinlich durch Hildebrandts abschließende Intonation haben hier auch die Grundstimmen etwas mehr Körper, was zu einem ausgeglichenen Klangbild führt. Vielleicht haben wir seinem Einfluss auch die herrliche Unda maris (Meereswoge) 8' zu verdanken, einer Prinzipalschwebung, ähnlich der italienischen Voce umana. Da man auf der Johannus LiVE auch nicht die Einschränkungen der fehlenden Koppeln, dem fehlenden tiefen Cis, den Schiebekoppeln und dem begrenztem Tonumfang hat, lassen sich auch frühromantische oder andere Werke mit diesem Set spielen. Das ist auch ein Unterschied zu Hauptwerk, wo man auf die Authentizität zum Original und dessen Beschränkungen mehr Wert legt. Aber eine Johannus LiVE soll eine Orgel zum Spielen und Musizieren sein und keine unnötige Historisierung als Ballast mitschleppen.

Das zweite Set ist eines, was die Niederländer natürlich am besten klanglich erfassen können, ihre eigene Orgeltradition. Und da steht der Name Bätz ganz oben. Zeitlich im Rokoko, also Spätbarock einzuordnen, haben diese Instrumente einen warmen romantisierenden Charakter. Im Ursprung hat die Orgel noch sechs Register der Renaissance Orgel von Peter Janszoon de Swart aus der Zeit um 1568. Aber die heutige Orgel basiert auf dem Umbau 1825-1831 durch Jonathan Bätz (1787-1849). Dieser gehörte zur dritten Generation einer Orgelbaufamilie, deren Stammvater Johann Bätz aus Deutschland stammte und später bei Christian Müller für den Bau der Orgel in der St. Bavo-Kirche in Haarlem angestellt war und danach seine Werkstatt in Utrecht eröffnete. Immerhin besuchte der große Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll die Orgel der Domkirche in Utrecht 1844. Verschiedene Umbauten besorgten C. G. F. Witte und andere. Die Windanlage wurde 1935 leider zerstört und musste erneuert werden. Die bekannte holländische Orgelbauwerkstatt Gebrüder van Vulpen in Utrecht, die auch als Spezialist für Bätz Orgeln gilt, hat die Orgel 1972-73 restauriert und manches wieder in den Originalzustand zurückgeführt. Das Instrument in der gotischen Domkirche (Grundsteinlegung im 13. Jh.) von Utrecht hat 49 Register und 3.698 Pfeifen. Der Raum hat einen großen und edlen Nachhall. Die Disposition zeichnet sich durch viele Grundstimmen und weniger Aliquote aus, was den warmen Grundklang erklärt. Immerhin 10 Zungenstimmen bei einer Gesamtzahl von 47 sind schon ein erheblicher Anteil, im Pedal davon alleine 4. Welche 6 Register aus der alten Renaissanceorgel stammen, kann ich leider nicht sagen. Aber sicherlich könnte davon in den höheren Fußlagen und die Hauptwerkmixtur sein, denn diese ist 4-8 fach, eine Vielchörigkeit, welche man im 19. Jahrhundert nicht mehr baute. Darunter findet sich im Rückpositiv der unbekannte Name Touzyn (holländisch eigentlich: Touzijn), welches wohl am besten mit dem deutschen Registernamen Dulzian beschrieben werden könnte. Auch im Sampleset von Johannus kommen alle diese Vorzüge zum Klingen. Besonders auch die gerühmten Tremulanten, welche man in Holland durchaus auch zu Aliquotund Plenummischungen und nicht nur zu Soloregistern zu ziehen pflegt. Obwohl das Pedal keinen 32' besitzt, hat es enormen Tiefklang und Sonorität. Durch die ausgeglichene Disposition in der Mischung aus Barock und Romantik ist dieses Sampleset sozusagen die Basis einer Orgel, auf der man in vielen Stilistika spielen kann.

Als drittes im Bunde darf natürlich eine französischsymphonische Orgel von Aristide Cavaillé-Coll (1811-1899) nicht fehlen. Dieser geniale Orgelbauer hat wie kein anderer das Bild einer französischen Orgel geprägt. Er baute auf den wunderbaren Barockorgeln seiner Vorgänger Robert und François-Henri Cliquot, Claude Parisot, Joseph und Claude Callinet auf, die er manchmal in großen Teilen übernahm und behutsam mit der Romantik verband. Bei seinen eigenen Instrumenten setzte er auf große Farbigkeit und Kraft im Plenum, wobei die meist zahlreichen Zungenstimmen eine besondere Bedeutung erhielten. Dazu kommt die Wärme der Grundstimmen (Fonds) und die sehr ausgeprägte Individualität der Soloregister. Das Schwellwerk bekommt bei Cavaillé-Coll eine zentrale Bedeutung. Nach und nach wird es das am größten besetzte Werk. Die Dynamik kann dann durch stufenloses Steigerung des Klanges vom Récit über das angekoppelte Positiv zum Hauptwerk (Grand Orgue) durch Öffnen und Schließen des Schwellers unglaublich modelliert werden. Schon César Franck profitierte davon und ließ sich zu orchestralen Werken inspirieren, weswegen er auch als Vater der Orgelsymphonie gilt, die durch Charles-Marie Widor und Louis Vierne ihren Höhepunkt erfuhr. Weiterhin entwickelte Cavaillé-Coll die überblasenden Register und das nicht nur bei Flöten. Es gibt bei ihm zahlreiche weitere solcher Register, auch die Trompette harmonique und sogar ein Cornet nur aus überblasenden Pfeifen. Diese haben einen besonders warmen und reichen Klang. Zur Erleichterung der bei großen Instrumenten dann immer schwergängigeren Mechanik, besonders bei Kopplung der Werke, bediente er sich der Erfindung des sogenannten Barker-Hebels. Diese pneumatische Spielkraftunterstützung, auch Barker-Maschine genannt, wurde vom englischen Orgelbauer Charles Spackman Barker (1807-1879) erfunden und entwickelt, und Cavaillé-Coll war der erste, der sie im großen Stil und allen seinen späteren großen Orgeln anwendete. Johannus sampelte nun die 1884/85 entstandene Cavaillè-Coll Orgel der Pariser Kirche Notre-Dame d’Auteuil. 1912 wurde diese Orgel von der Nachfolgefirma Mutin-Cavaillé-Coll gereinigt. 1937 wurde von der Firma Gloton-Debierre das fehlende Positif expressif eingebaut. Der damalige Titularorganist Paul Marcilly bestand auf Beibehaltung der Originalintonation und da Gloton seinerzeit Werkstattmeister bei Cavaillé-Coll war, konnte er auch das Positif ganz in diesem Stil bauen und intonieren. Die Orgel selbst wurde allerdings nach dem System Debierre elektrifiziert und mit einem neuen Spieltisch versehen. Es spricht für die Qualität der Arbeiten von 1937, dass die Elektrik nach wie vor einwandfrei funktioniert. Es wurde auch der Soubasse 32' hinzugefügt. In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden die Aliquotstimmen von 1937 leider durch andere von enger Mensur ersetzt. Seit 1999 ist der bekannte Improvisator und Organist Frédéric Blanc der Titular dieser Kirche. Die Disposition der Cavaillé-Coll Orgel von Auteuil hat alles, was man von einer symphonischen Cavaillé-Coll Orgel erwartet und das Sampleset klingt auch so. Von den 52 Registern sind allein 14 Zungenstimmen, davon im Récit die üblichen fünf mit Bombarde 16', Trompette harmonique 8', Basson et Hautbois 8', Voix humaine 8' und Clairon 4', welche dem Récit die nötige Kraft geben und mit der Voix humaine und Tremblant die lyrischen „Zungenschwebung“ für die akkordischen Stellen, besonders bei César Frank. Seltener ist ein Positif expressif bei Cavaillé-Coll anzutreffen und dieses hier kam ja auch erst später hinzu. Man merkt es aber nicht, die Intonation passt sehr gut zum Gesamtinstrument. Einzig bei Cavaillé-Coll hätte es sicher neben der Cromorne 8' eine Clarinette 8' gegeben, dieses lyrische Zungenregister findet man hier nicht. Ganz ausgezeichnet ist der Teppich der Fonds gelungen, egal ob nur in 8' Lage oder auch 16', 8', 4' zusammen. Und im Récit bestechen die Soloregister Flûte traversière 8' und Flûte octaviante 4'. Natürlich entspricht auch die Voix céléste den Erwartungen an die Streicherschwebung dieses Stils. Großartig klingt das Cornet V der Grand Orgue, vermutlich bauüblich als hochgebänktes Kornett in der Orgel und somit sehr präsent. Die Mixturen fügen sich rund und französisch unaufdringlich in Plenum und Tutti ein.

Alle Samplesets haben sogenannte Long Loops und Direct Streaming, sie wurden in ihrer derzeitigen Originaltemperierung und Stimmtonhöhe im Einzelton-Verfahren, also Taste für Taste gesampelt. Die Temperierungen lassen sich natürlich auch ändern. Alle Manuale haben Tremulanten, auch wenn diese im Original nicht vorhanden sind. Alle Samples sind von großer Länge und speziell auf das Johannus System abgestimmt. Zusätzlich wurden die Impuls-Antworten für den Nachhall an unterschiedlichen Positionen in den Kirchen aufgenommen, um daraus später die verschiedenen umschaltbaren virtuellen Hörpositionen zu generieren. Das Hall-System der Orgel erzeugt dabei für jede „Pfeife“ ein eigenes Signal, um ein möglichst genaues akustisches Abbild der Originalorgel zu erzeugen. Dieser Aufwand führt zu extrem authentischen Klangerlebnissen. Vorhandene klangliche und intonationsmäßige „Unreinheiten“ bei einzelnen Tönen sind dadurch auch hörbar, sie beleben den Klang und ergeben das natürliche Hörempfinden. Allerdings fiel mir auf, dass bei allen Samplesets der gesamte Toneinsatz immer ein wenig langsam und weich einsetzt, wie bei einer Pneumatik. Das zwar nur minimal, aber mir ist es aufgefallen und mich hat es etwas gestört. Gerade bei dem knackigen Toneinsatz einer Silbermann Barockorgel erwartet man einen sehr direkten Toneinsatz nach dem Niederdrücken der Taste. Aber es kann sein, dass es subjektiv nur mich gestört hat und wertet die Gesamtqualität der Samplesets und des Instrumentes keinesfalls ab. Vielleicht bessert Johannus auch noch nach, denn es ist ja die erste Orgel mit dem völlig neuen System. Die Software zur Klangbearbeitung hat Johannus selbst entwickelt. Die Samplebibliothek soll ständig erweitert werden. Man munkelt, dass es in Zukunft ca. vierteljährig ein neues Set geben soll, was schon sehr ambitioniert wäre

Die Abstrahlung

Nun benötigen so hochwertige Klänge auch eine adäquate Wiedergabe. Und hierfür hat man das Audiosystem kurzerhand neu konzipiert. Es ist ein 8.1 Audiosystem mit 2 Frontkanälen. Diese steuern je Seite 3 Lautsprecher über eine DSP kontrollierte Frequenzweiche an, die Lautsprecher befinden sich zu beiden Seiten über dem Kopf des Spielers und nach oben aus dem Gehäuse abstrahlen. Seitlich und „nach oben raus“ gibt es insgesamt 4 Surround-Kanäle mit insg. 4 Lautsprechern und im Spielschrank einen Subwoofer. 8 Fullrange-Verstärker (80 Watt) und ein Subwoofer (170 Watt) machen ordentlich „Dampf“ und steuern die 9 Lautsprecher der Orgel an. Der übliche Kopfhörer Anschluss ist aber ebenso vorhanden, wie die Möglichkeit, mittels Johannus Pure Audio™ und dem Aux-Out das Signal auch nach draußen auf externe Verstärker/Lautsprecher weitergeben zu können. Die Audiosteuerung erfolgt mit dem DEA II™ System, und der Hall wird dem Johannus LIVEreverb II™ erzeugt. Allerdings sind die Hallräume natürlich mit dem Originalraumhall als Convolution Reverb verbunden. Dazu kommen noch die jeweils extra gesampelten Hörpositionen an Spieltisch und in der Kirche. Die Hörbarkeit am Spieltisch und der Klang insgesamt sind sehr räumlich und angenehm, auch bei großer Lautstärke. Allerdings war er mir bei dicken tiefen Registrierungen romantischer Art in der Mitte und Tiefe zu wenig plastisch. Da mulmt es denn doch ein wenig. Dennoch ist das Meckern auf höchstem Niveau, denn die  Orgel und damit auch das Audiosystem klingt einfach gut.

Fazit

Die LiVE hat ein durchaus gutes Preis-Leistungsverhältnis bei dieser Ausstattung. Und sie ist eine eigene Entwicklung von Johannus und kein Hauptwerk. Wenn man eine halbwegs normale Hauptwerklösung mit drei Manualen und Pedal, Touchscreens, potentem Rechner, Audiosystem, Hauptwerklizenz, Samplesets zusammenstellt, kommt man auch locker auf 10.000 Euro. Dann hat man oft noch keinen schönen Spieltisch, eine nur kleine Audioanlage und schon gar nicht einen Spielschrank mit Holzmanubrien und Druckpunkt-Holzkerntastatur. Hier erhält man zum (Listen-)Preis von 21.995,- Euro eine richtig gute Orgel mit hochwertiger Ausstattung und dem Vorteil gegenüber Hauptwerk, einfach einschalten und spielen zu können. Auch soll die LiVE Orgel mit immer neuen Samplesets bedacht werden, deren Installation mehr als simpel und damit genial gelöst ist. Wenn es denn genügend Verkäufe der LiVE und damit potentielle Interessenten an neuem „Futter“ für die Orgel gibt, könnte es noch zu vielen weiteren interessanten Samplesets kommen. Wünschen wir der Johannus LiVE einen guten Start und vielleicht hilft das Weihnachtsgeschäft ja, ein wenig dazu beizutragen.

Hans Dieter Karras

Okey Classic

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